Organspende: eine 2. Chance

Warum es so wichtig ist, über das Thema Organspende nachzudenken und für sich eine Entscheidung zu treffen

Rita Schlink feiert 2 x im Jahr Geburtstag, im Mai und am 25. April. An diesem Tag erhielt sie vor 5 Jahren eine Lebertransplantation, die ihr das Leben rettete. Im Interview erzählt die 59-Jährige ihre Geschichte und möchte anderen Mut machen, sich mit dem Thema Organspende zu beschäftigen.

Frau Schlink, seit 5 Jahren leben Sie mit der neuen Leber. Wie geht es Ihnen?

Rita Schlink: Mittlerweile geht es mir richtig gut. Ich führe ein ganz normales Leben, mit Arbeit, Hobbys, wir fahren in den Urlaub, haben Pferde. Aber es hat eine ganze Weile gedauert, bis ich wieder so aktiv sein konnte. Klar ist auch: Ich bin nicht mehr ganz so leistungsfähig wie früher. Ich arbeite jetzt in Teilzeit und muss mein Leben lang Medikamente nehmen, damit das Immunsystem unterdrückt wird und der Körper das Organ nicht abstößt. An die vielen Tabletten musste ich mich erst gewöhnen. Inzwischen gehört das genauso zu meinem Leben, wie einige andere Veränderungen auch. Hygiene ist sehr wichtig, ich trinke keinen Alkohol mehr, ich passe auf meine neue Leber auf. 

Wie kam es denn zu der Transplantation?

Rita Schlink: Ich hatte wegen einer anderen Sache eine Operation, die gut verlaufen ist, aber danach gab es massive Komplikationen. Das eskalierte so weit, dass ich künstlich ernährt werden musste. In Verbindung mit den vielen Medikamenten hat meine Leber irgendwann gesagt, ich kann nicht mehr. Es drohte Organversagen, alles musste sehr schnell gehen, und es stand auch ein Spenderorgan zur Verfügung. Doch dann haben die Ärzte entschieden: Wir operieren nicht, wir nehmen diese Leber lieber nicht. Da fällt man in ein tiefes Loch, weil man nicht weiß, ob die Zeit noch reicht, um auf ein anderes Organ zu warten. Ich habe quasi im Zeitraffer erlebt, was andere Menschen manchmal jahrelang durchmachen, dieses Hoffen auf eine Niere, ein neues Herz. Das Schlimmste ist, dabei zu wissen, dass mein Leben vom Tod eines anderen Menschen abhängt. In meinem Fall blieb nicht viel Zeit. Nach 2 Tagen war wieder eine Leber verfügbar. Ich kam sofort in den OP und konnte mich nicht einmal mehr von meinem Mann verabschieden. 

Wie ging es dann weiter?

Rita Schlink: An die ersten Tage nach der OP kann ich mich nicht erinnern. Insgesamt war ich 5 Wochen auf der Intensivstation, durch die Komplikationen vorher war ich sehr schwach. Ob ein Organ angenommen wird, zeigt sich schnell, trotzdem hat es bei mir lange gedauert, bis sich alles wieder normalisierte. Aber irgendwann habe ich gemerkt: Es geht weiter! Nach und nach wurden die Schläuche entfernt. Dann bin ich wieder aufgestanden und das erste Mal wackelig durch den Raum gegangen. Es war ein langer Weg, andere sind nach 14 Tagen wieder auf den Beinen, das ist ganz individuell. Wichtig ist, sich Hilfe zu holen, sich Zeit zu nehmen für die Reha und auch psychologische Unterstützung zu nutzen. Wie gesagt: Ich lebe, weil ein anderer gestorben ist. Das muss man erst einmal verarbeiten.

Ich habe Glück gehabt und eine 2. Chance bekommen.

Wie gehen Sie mit den Gedanken an diesen Menschen und die Angehörigen um?

Rita Schlink: Wir Organempfänger haben die Möglichkeit, einen Dankesbrief zu schreiben, der über die Deutsche Stiftung Organtransplantation an die Spenderfamilie geht. Man darf sich darin nicht zu erkennen geben. Anonymität ist für beide Seiten Pflicht. Aber natürlich möchten die Spenderfamilien manchmal gerne wissen, was mit dem Organ passiert ist. Und wir Organempfänger möchten Danke sagen. Das können wir zum Beispiel bei großen Treffen mit den Spenderfamilien, die organisiert werden. Da kann man sich im Namen aller bedanken. Wenn ich unterwegs bin, zünde ich in einer Kirche auch immer Kerzen an, für meine Familie und für den Spender. Das ist meine Art, und wenn ich jetzt spreche, habe ich feuchte Augen  …  

Was hat in dieser Zeit noch geholfen?

Rita Schlink: Geerdet zu sein, meine Familie zu haben, das war sehr wichtig. Nach etwa einem Jahr habe ich wieder angefangen, in der Bank zu arbeiten. Kurz danach kam Corona. Mein Arbeitgeber hat super reagiert und sofort Homeoffice für mich organisiert, auch das war eine große Hilfe und nicht selbstverständlich. Zur Krankenkasse kann ich nur sagen: Es war einfach gut zu wissen, dass im Hintergrund alles reibungslos läuft. Wenn wir Fragen hatten, konnten wir anrufen, und die Betriebskrankenkasse der Deutschen Bank hat immer versucht, eine Lösung zu finden, unbürokratisch und unkompliziert. Das war eine große Entlastung. 

Sie engagieren sich auch im Netzwerk Organspende Nordrhein-Westfalen?

Rita Schlink: Genau, ich habe erlebt, wie schnell einen das Thema betreffen kann, und möchte aufklären und informieren. Es geht mir nicht darum, dass die Leute gleich einen Organspendeausweis ausfüllen. Mein Anliegen ist: Macht euch Gedanken, setzt euch mit dem Thema auseinander. Die meisten Spenden sind ja postmortal, das heißt, die Organe werden nach dem Tod für eine Transplantation zur Verfügung gestellt. Deshalb ist es wichtig, sich zu Lebzeiten klarzumachen, was man will, und diese Entscheidung schriftlich festzuhalten, zum Beispiel in einem Organspendeausweis. Am besten spricht man auch mit seiner Familie darüber, damit sie weiß, wie man zu einer Organ- oder Gewebeentnahme steht. Ich weiß, dass es auch Sorgen und Zweifel gibt, aber niemand muss Angst haben, medizinisch nicht gut versorgt zu werden, weil er einen Ausweis hat. Aufklärung ist da ganz wichtig. Im Internet gibt es offizielle Seiten, auf denen man sich informieren kann. Wer Fragen hat, kann sich auch an mich wenden. Über die Betriebskrankenkasse der Deutschen Bank gibt es meine Kontaktdaten.

Möchten Sie sonst noch auf etwas aufmerksam machen?

Rita Schlink: Am 1. Juni ist Tag der Organspende, da finden überall in Deutschland Aktionen statt und es gibt Informationen. Ich habe Glück gehabt und eine 2. Chance bekommen, das hat nicht jeder. Allein 2023 sind 767 Menschen, die auf Wartelisten standen, gestorben, weil nicht rechtzeitig ein Spenderorgan gefunden werden konnte. Mein Wunsch ist, daran ein bisschen etwas zu ändern.

Vielen Dank für das Gespräch und alles Gute für Sie.

Organspende: Kennzahlen für Deutschland


Foto: Rita Schlink hat sich schon immer für andere eingesetzt, ob als Betriebsrätin, im Verwaltungsrat der BKK der Deutschen Bank oder jetzt im Netzwerk Organspende NRW.

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Veröffentlicht: 23.04.2024 - Aktualisiert: 30.08.2024